Im Orbit

© CIRCL STUDIO for ada Learning GmbH, Morals & Machines 2022
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Montagmorgen in Düsseldorf. Zaghafte Sonnenstrahlen fallen durch die Glaskuppel des K21 und zeichnen das engmaschige Muster eines Spinnennetzes an die weißen Wände des Museumsfoyers. Die unter der Decke hängende Stahl-Installation „in orbit“ von Tomás Saraceno* ist die perfekte Kulisse für die Themen der heutigen Tages: Technik, Natur, Philosophie und, allen voran, Zukunft.

Von der mittig im Raum plazierten Bühne heißen uns drei Frauen in farbigen Blazern zur diesjährigen Morals & Machines-Konferenz willkommen. Miriam Meckel, Léa Steinacker und Verena Pausder, die Gründerinnen der Business und Learning Plattform ada, präsentieren den Leitgedanken der nächsten Stunden: „Sustainable imaginations: Visions of more responsible technology“. ​

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We’re all stakeholders in climate crisis

Eine der ersten Speakerinnen auf der Bühne des K21 ist Sweta Chakraborty. Die Risiko- und Verhaltenswissenschaftlerin bewertet als Präsidentin von „We Don’t Have Time“ Lösungsansätze zum Klimawandel und engagiert sich aktiv in der Bekämpfung der globalen Krise.

Chakraborty erleutert, wie wir bereits heute von der ökologischen Krise betroffen sind und dass wir ihre Auswirkungen zulünftig überall auf der Welt spüren werden. In ihren Augen mangele es uns allerdings nicht an Technologie, um die Globalen Erwärmung aufzuhalten. Sie sehe das Problem in unserer Art zu Kommunizieren.​

Für die Verhaltenswissenschaft sind wir Menschen irrationale Entscheider. Und das liegt in unserer Natur. Allein die Art, wie uns Information erreichen, kann beispielsweise massiven Einfluss auf unser Handeln haben. Ganz unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit einer potenziellen Bedrohung, beeinflusst so bereits die Häufigkeit in der wir von ihr hören, das von uns wahrgenommene Risiko und damit unsere Entscheidungen. Um globalen, sich langfristig entwickelnden Krisen wie dem Klimawandel zu begegnen und sie vor allem bekämpfen zu können, müssen in den Augen der Wissenschaftlerin möglichst viele Menschen von diesen Wahrnehmungsverzerrungen erfahren.

Darüber hinaus fordert Chakraborty eine gesinnungsübergreifende Zusammenarbeit, um relevante Botschaften zu vermitteln und in den Köpfen der Menschen zu festigen. ​Das Aufkommen immer neuer Kommunikationsplattformen und der abnehmende Konsum etablierter Nachrichten- und Informationskanäle machen es in ihren Augen notwendig, auch unbequeme Kommunikatoren in den gesamt-gesellschaftlichen Diskurs einzubeziehen. Es ginge darum, möglichst viele Menschen zu erreichen und auch jenen mit anderen Überzeugungen verständnisvoll und empathisch zu begegnen statt sie abzuschreiben oder zu ignorieren.

Nachhaltig erzählen

Die Themen Kommunikation und Krise versetzten mich in Gedanken um zwei Tage zurück. Ich flaniere durch den grünen Kern der Düsseldorfer Altstadt. Im Rahmen einer Open-Air Veranstaltung des zakk liest die Autorin Stefanie de Velasco Auszüge aus ihrer Arbeit der letzten Jahre.

Die Texte handeln vom Leben und Schreiben in Zeiten des Klimawandels. 2019, kurz nach der Veröffentlichung ihres zweiten Romans, rutschte de Velasco in ein kreatives Loch. Ausgelöst vom weltlichen Geschehen rund um Hitzewellen, Rechtsruck und Fluchtbewegungen wurde die ökologische Krise für sie zur Imaginationskrise. Die Autorin stellte sich die Frage, wie sie den sich überschlagenden Ereignissen der Gegenwart und der Ohnmacht, die für sie damit verbunden war, begegnen konnte. Die Antwort kam ihr auf der Straße. Ab November 2019 verbrachte sie mehrere Monate vor die Akademie der Künste in Berlin im Klimastreik. Sie fuhr mit einem selbstgebauten Wohnfahrrad durch die Republik und entwickelte schließlich die Idee des nachhaltigen Erzählens.

Kommunikation als Konfrontation

Schon um das Jahr 1900 sprach man von einer Krise des Erzählens. Damals zweifelten die Schreibenden daran, mit linearen Geschichten die Komplexität der modernen, sich immer schneller bewegenden Gesellschaft darstellen zu können.

Stefanie de Velasco ging es 2019 ähnlich. Mit der Geschwindigkeit des Konsums der Lesenden, die in immer kürzerer Zeit immer neue Inhalte forderten, schwand für die Autorin die Bedeutung von Texten und Erzählungen. In einer Unterhaltung mit Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der UdK Berlin, sieht sie die ökologische Krise als Blaupause dafür, wie wenig nachhaltig auch die Produktion von Inhalten in unserer Welt gerade abläuft.

Das nachhaltige Erzählen ist für die Autorin eine logische Gegenbewegung zu diesen Entwicklungen und richtet sich gegen den unstillbaren Hunger, die wahnsinnige Geschwindigkeit und den Verbrauchsimperativ der Moderne. ​

We accepted the idea, that innovation has to come from economy

Evgeny Morozov betritt die Bühne des K21. Der belarussische Autor beschäftigt sich mit den politischen und sozialen Auswirkungen technischer Entwicklung.

Eines der größten Probleme, mit denen wir als Gesellschaft geade zu kämpfen haben, ist für Morozov unser Umgang mit Innovation. Um globalen Krisen wie dem Klimawandel zu begegnen, brauche es in seinen Augen innovative Ideen. Gerade jene seinen in der Logik der aktuellen Ökonomie jedoch vorwiegend mit dem Unternehmertum verknüpft, was in Wirklichkeit gerade einmal für 1% der stattfindenden Innovationen verantwortlich ist. Obwohl wir als Einzelne täglich innovativ Denken und Handeln, ist die Verbindung von Innovation und Ökonomie so fest in uns verankert, dass wir gar nicht über das Potenzial unserer eigenen Ideen nachdenken. Deshalb, so der Philosoph, gilt es, uns vom passiv konsumierenden zum innovativ denkenden und handelnden Individuum zu entwickeln.

Doch selbst wenn alle Menschen ihr innovatives Potenzial nutzen würden, fehle es nach Morozov an Institutionen, die es erlauben, Ideen in die Gesellschaft zu tragen. Und er hat einen Punkt. Denn trotzdem die große Konzerne des Silicon Valley über alle Möglichkeiten verfügen, um Wissen zu verbreiten und innovativen Stimmen Raum zu geben, konzentrieren sich ihre Geschäftsmodelle seit Jahren vorwiegend darauf, ihre eigenen Geldbeutel zu füllen.​

We have to start imagining

Die Welt der Megakonzerne steht laut Morozov für Monopolisierung, Standardisierung und Diversitätsverlust. Im Zuge fortschreitender Globalisierung dominieren multinationale Konzerne große Teile des globalen Marktes und zwingen lokale Betriebe und kulturelle Instanzen nach und nach in den Ruin. Tech-Riesen verkaufen währenddessen höchstbietend die Daten ihrer Nutzer und unterwerfen Kreativschaffende den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie, um auf ihre Weise den sich stetig drehenden Strudel des Konsums in Bewegung zu halten.

Internet und Social Media haben dafür gesorgt, dass die Welt im Sinne des Global Village kommunikativ näher zusammenrückt. Werte wie Empathie, Gemeinschaft, Kultur und Diversität scheinen dabei jedoch leider dem Motiv des ökonomischen Nutzens zum Opfer gefallen zu sein. Wie könnte eine Welt aussehen, die im Sinne nachhaltiger Vorstellungskraft, die Macht der Big Player zurück in die Hände der Einzelnen gibt?

In a decentralized world, everything is more resilient

Eines der wichtigsten Versprechen hinter Blockchain-Technologie und Krypto-Währungen ist die Dezentralisierung. Unzählige Netzwerkknoten sorgen dafür, dass eine Blockchain, mit all den auf ihr liegenden Daten, an möglichst vielen verschiedenen Orten gespeichert ist. Auf diese Weise hat niemand die volle Kontrolle über einzele Teile der Kette und Manipulationsversuche oder Absprachen einzelner Akteure sind unwahrscheinlich bis unmöglich.

Es war der Skandal um die Krypto-Währung Luna, der erst vor wenigen Wochen bewies, dass die Idee des dezentralen Internets noch in den Kinderschuhen steckt. In einigen Jahren könnte das sogenannte Web3 jedoch genau jene Probleme, die Morozov der aktuellen Version unseres digitalen Global Village zugeschrieben hat, lösen. Denn basieren alle Anwendungen im Netz einmal auf dezentralisierten Technologien, sind es nicht mehr einzelne Anbieter, die über Profile, Content und Kontakte verfügen können, sondern die Nutzer selbst.

Ein Beispiel für das gesellschaftliche Potenzial des Web3 ist das Lens Protocol. Sein Ziel ist es, eine dezentrale, auf der Blockchain basierende Social Media Plattform zu bauen. Anders als bei Instagram, TikTok & Co bleibt die Verfügungsmacht über den Social Graph (die Sammlung aller Informationen, die ein Nutzer in einem Sozialen Netzwerk hinterlassen hat) im Falle des Lens Protocol jedoch in den Händen des Nutzes. Auf diese Weise können die Daten nicht mehr an andere Unternehmen verkauft werden, z. B. um personalisierte Werbung zu schalten. Entsprechend uninteressant wird es gleichzeitig für die Plattform, ihre Nutzer durch aufmerksamkeitssteuernde Werkzeuge und Formate ständig am Scrollen zu halten, was den Suchtfaktor des Sozialen Netzwerks deutlich verringern könnte.

Umgekehrt könnte es in diesem Szenario der Nutzer sein, der von der Plattform monetär profitiert. So könnte jedes seiner Content Pieces, ob Text, Bild oder Video, als NFT hochgeladen, nicht nur klar seinem Besitzer zugewiesen, sondern auch durch ihn an andere Nutzer verkauft werden. ​

© CIRCL STUDIO for ada Learning GmbH, Morals & Machines 2022

Nachhaltig imaginieren

Sicherlich brauchen dezentrale Social Media Plattform noch einige Jahre Entwicklungszeit bis zur Marktreife, doch innovative Projekte wie das Lens Protocol zeigen, wie wichtig der Schritt jedes und jeder Einzelnen aus der Rolle der passiven KonsumentIn heraus hin zur aktiven InnovatorIn sein kann. Genauso wie Stefanie de Velasco in ihrer Funktion als Erzählende gesellschaftliche und ökologische Veränderungen zum Anlass nimmt, neue Konzepte für ihre Arbeit zu entwickeln und zu erproben, kann jeder auf seinem Spielfeld und mit seiner Expertise zum Treiber von Innovation werden und im Großen wie im Kleinen Spuren in der Welt hinterlassen.

Genau diese Mentalität ist es, die mir von meinem Tag bei Morals & Machines am meisten in Erinnerung bleiben wird. Denn ebenso wie jeder und jede Vortragende, haben sich die VeranstalterInnen die Idee des „nachhaltigen Imaginierens“ wirklich zu Herzen genommen. Durch eigene Studien, viel Interaktivität und interdisziplinäre Impulse aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Philosophie ist es ihnen erfolgreich gelungen, ein Format zu entwickeln, das Zusammenhänge eröffnet, Komplexität zulässt und zum Umdenken anregt ohne dabei Ohnmachtsgefühle entstehen zu lassen.

Ein letztes Mal schaue ich zur Decke, bevor ich das K21 an diesem Tag verlasse. In meiner Vorstellung balancieren neugierige BesucherInnen auf Saracenos Netz durch den leeren Raum. Ich spüre die Klarheit und Frische, die der Geist in solch alltagsfernen Momenten bekommt. Und auch wenn mein Körper den ganzen Tag festen Boden unter den Füßen hatte, durfte ich heute mehr als einmal im Orbit kreisen.


*Die Installation „in orbit“ von Tomás Saraceno muss ab sofort aus technischen Gründen geschlossen bleiben. 

Larissa Lenze

Larissa bewegt sich zwischen Menschen, Marken und Medien. Als Kulturwissenschaftlerin und Marketingstrategin beobachtet sie Medien- und Zeitgeschehen und spricht mit Menschen, die es mit besonderen Impulsen bereichern.

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