Eine Bekannte gab mir vor wenigen Jahren einen guten Rat. Sie sagte: „Energie folgt immer unserer Aufmerksamkeit“ und ließ mich mit dem Satz, ohne viel zu erklären.
Zuerst war mir nicht klar, was sie sagen wollte, doch ihre Worte blieben in meinen Kopf. Irgandwann verstand ich. Dinge, Menschen oder Themen, ziehen mit meiner Aufmerksamkeit immer auch meine Energie auf sich und nehmen so Raum in meinem Leben ein. Genauso habe ich die Chance, meine Aufmerksamkeit und damit auch meine Energie bewusst zu lenken. Wie beunruhigend und ermächtigend diese einfache Erkenntnis damals war, durfte ich beim Lesen von Jenny Odells Buch „Nichts tun“ erfahren.
Aufmerksamkeitsökonomie – diesen Begriff höre ich seit meiner Zeit als Studentin der Medienwissenschaften. Ihm zufolge ist unsere Aufmerksamkeit eine Ressource, eine Ware, die begehrt ist, mit der wir handeln können und die uns gestolen werden kann. Und weil Aufmerksamkeit in Lebenszeit gemessen wird, bedeutet ihr Verlust für jeden einzelnen von uns die Welt.
Ich lese „Nichts tun“ wie eine Erinnerung an das reine Dasein. Untermalt von zahlreichen schlauen Zitaten und Referenzen, plädiert Jenny Odell für die Abkehr von Produktivitäts- und Fortschrittsmythologien und setzt an deren Stelle zyklisches Denken und regenerative Praktiken. Sie spricht von Pflege und Erhalt statt Entsorgung und Ersatz und zeigt auf, wie digitale Ablenkungen das Potenzial haben, uns immer weiter vom „wirklichen Leben“ zu entfernen.
Ist „Nichts tun“ also eine Aufforderung zur Unproduktivität? Ja und nein. Neben den Themen Bioregionalismus und ihrer neu-entdeckten Passion der Vogelbeobachtung erzählt Odell von Widerstandskulturen und bietet jenen Menschen eine Plattform, die den Blick des Außenstehenden einnehmen und dazu anregen, Werte und geübtes Handeln zu hinterfragen.
In „Nichts tun“ fließen zahlreiche Themen und Positionen zusammen, die von der Autorin unter anderem durch Beispiele aus Kunst und Natur untermalt und verdeutlicht wären. Zuletzt hebt Odell explizit den Wert künstlerischer Ausdrucksformen hervor, die uns in ihren Augen, ob als Schaffende oder Betrachtende, dazu befähigen, Sichtweisen in Frage zu stellen und neue Wahrnehmungsmuster zu etablieren.
Am Ende bleibt die Hoffnung, dass wir lernen, dem Spiel mit unserer Aufmerksamkeit absichtsvolles Handeln entgegenzusetzen. Im Wissen, dass Zeit und Energie treu an ihrer Seite stehen und wir frei entscheiden können, wie wir diese in unserem Leben verteilen möchten.
[…] fällt es mir immer schwerer, genau dies zu tun. Jenny Odell widmet sich in dem Buch „Nichts tun“ den Herausforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie, die eine von vielen möglichen Ursachen […]