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Der Ozean am Ende der Straße

Neil Gaiman Der Ozean am Ende der Straße

Beim Ausmisten alter Kisten stoße ich immer wieder auf Fotos, Kalender und Notizbücher. Seit meiner Kindheit tendiere ich dazu, Erinnerungen durch kleine Andenken und Texte zu bewahren. Bis heute fällt es mir schwer, diese Gegenstände gehen zu lassen.

Von der Wahrnehmung verfälscht, dem Verstand verformt und der Zeit überschrieben sind Erinnerungen keine besonders zuverlässigen Informationsspeicher. Gerade deshalb sind die Inhalte von Kalendern und Tagebüchern oft so überraschend. Mal sind sie Anker, die uns in vergangene Versionen unserer Selbst zurückversetzen. Mal Begegnungen mit Personen, die wir kaum zu kennen scheinen.

In „Der Ozean am Ende der Straße“ erzählt Neil Gaiman die Geschichte eines Mannes, der nach Jahren der Abwesenheit in seine Heimatstadt zurückkehrt. Wie die Gegenstände und Texte in meinen Kisten tragen ihn die Orte seiner Kindheit zurück in der Zeit und lassen ihn ein zweites Mal durchleben, was sich ereignet hat, als er ein kleiner Junge war. In einem Zustand von Überwältigung und Machtlosigkeit bewegt sich der nun kindliche Erzähler zwischen Welten und Wirklichkeiten und seine Geschichte wandelt sich zum düster-magischen Albtraum. 

Abseits von Monstern und Magie handelt Gaimans Roman vom wohl größten Wunder und gleichzeitig größtem Schrecken der Kindheit: dem unerklärbaren Einheitsempfinden von Wirklichkeit und Vorstellungskraft. Einem Dasein, in dem ein Teich gleichzeitig ein Teich, ein ganzer Ozean und das Portal in eine andere Welt sein kann.

Larissa Lenze

Larissa bewegt sich zwischen Menschen, Marken und Medien. Als Kulturwissenschaftlerin und Marketingstrategin beobachtet sie Medien- und Zeitgeschehen und spricht mit Menschen, die es mit besonderen Impulsen bereichern.

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